Im Frühjahr 2023 habe ich mit Aufbruch:Stadt einen Vorschlag zur nachhaltigen Transformation veröffentlicht. Die zustimmenden und positiven Reaktionen aus Fachkreisen und Wissenschaft haben mich gefreut und bestätigt. Hierfür an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank.
Die Reaktionen aus Kölner Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft waren — nun ja, nennen wir es „überschaubar“. Was sich zu den in Aufbruch:Stadt angesprochen Themen konkret getan (und auch nicht getan) hat, habe ich in diesem Jahresrückblick zusammengetragen und kann hier nachgelesen werden.
Wie auch nicht anders zu erwarten: Die vielfältigen und leider häufig komplexen Themen und Herausforderungen „im Lokalen“ bleiben weiterhin bestehen.
Der Rückblick steht auch als PDF zum Download zur Verfügung
Straße und Verkehr
Straßenverkehrsgesetz | Parken in Köln | Deutzer Freiheit | Venloer Straße
Klima‑, Sanitär und Nährstoffwende
Aktionsplan Klimaschutz | Initiative „Köln Countdown“ | „Ach‘ du heilige Sch…
Quartiersentwicklung
KlimaVeedel | Superblock, Veedelsblöcke und Bürgerräte | Initiatve.umbau
Zum Schluss
Scheitern als Kunstform…
Rückblick 2023
Wenn es um die Transformation der Stadt geht, sind es häufig die ganz banalen und formalen Zwänge, die notwendigen Veränderungen – und seien Sie noch so klein – im Wege stehen. Ganz oben auf der Liste sind hier die Straßenverkehrsgesetzte zu nennen.
Straße und Verkehr
(Doch keine) Änderungen des Straßenverkehrsgesetz
Zum Jahresende 2023 fordern inzwischen über 1.000 Städte, Gemeinden, Landkreise und ein Regionalverband mehr Entscheidungsfreiheit bei der Anordnung von Tempolimits. Ein kleiner, aber wichtiger Aspekt bei der Verkehrswende und für mehr Sicherheit im Straßenverkehr.
Eine Chance, die über alle Parteigrenzen hinweg geforderte Reform endlich auf den Weg zu bringen, hätte die vom Bundeskabinett beschlossene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes geboten (siehe hierzu und ff. Update 2023-06). Leider konnte sich die Koalition nicht zu einer echten Reform durchringen.
Der Bundesrat forderte noch Veränderungen, unter anderem auch nach Aufnahme von „Vision Zero“ (Vision „Null Verkehrstote“, wie in skandinavischen Ländern erfolgreich formuliert und umgesetzt).
Nach weiteren Verhandlungen wurde im Oktober ein Kabinettsentwurf im Bundestag verabschiedet. Leider hat es die „Vision Zero“ nicht ins Gesetzt geschafft, wo hingegen der beschleunigte Ausbau von Autobahnen beschlossen wurde.
Die Grünen sprachen tatsächlich von einer „Verkehrsrevolution“ – es wurde ja neben dem Autobahn- auch der Bahnausbau beschlossen. Die Revolution musste dann leider ausbleiben, denn der Bundesrat blockierte im November das Gesetz.
Nicht einmal klitzekleinste Verbesserungen und ein dürftiger Kompromiss schafft es, vor den populistischen und parteipolitischen Taktierereien verschont zu bleiben. Dementsprechend kritisiert der Deutsche Städtetag in einer Stellungnahme: „Die geplante Reform war zwar noch nicht der große Wurf, den die Städte sich gewünscht hatten. Aber sie wäre ein erster Schritt, den Städten mehr Entscheidungsspielraum zu geben bei der Verkehrsplanung und Verkehrssteuerung vor Ort“.
Parken in Köln
Im Dezember 2021 wurde vom Rat beschlossen, einen Masterplan Parken zu entwickeln (Vorlage 2635/2021). Darin waren u.a. die Neuaufteilung des öffentlichen und nicht-öffentlichen Raums, ein faires Parken und die Parkraumbewirtschaftung als Ziele formuliert.
Betroffen war somit auch die Reglung für das Anwohner*innenparken. Noch zu Beginn der Debatte um die Neureglung bei den Gebühren war einmal ein jährlicher Betrag von rund 600 Euro im Gespräch. Auf dieser Basis hatte ich in Aufbruch:Stadt ein Konzept für ein VeedelsBlock+Parken entworfen, bei dem – wie auch im Beschluss zum Masterplan Parken – das Thema Quartiergaragen und die Nutzung von nicht-öffentlichen Flächen (Parkplätze von Discountern, etc.) mitgedacht wurden.
Als Beschlussvorschlag wurde im April 2023 ein deutlich geringerer – gegenüber den anfänglich diskutierten Zahlen – und sozial gestaffelter Betrag vorgeschlagen:
- zwischen 105 — 120 Euro (in Abhängigkeit der Fahrzeuglänge,
„soziale Ermäßigung“ mit Kölnpass), - bis zu einem Betrag zwischen 330 – 390 Euro ,
- geplante Einführung ab Januar 2023.
Dieser Vorschlag hielt nur für kurze Zeit, denn im Sommer urteilte das Bundesverwaltungsgericht zum Anwohnerparken in Freiburg, es fehle „für die Ermäßigung und den Erlass der Gebühren aus sozialen Gründen eine Rechtsgrundlage“. In Köln wurde zurückgerudert und nun soll vielleicht im Sommer 2024, oder auch erst Jahr 2025, eine einheitliche Gebühr für das Anwohner*innenparken zwischen 100 – 120 Euro kommen.
Für Menschen mit geringen Einkommen ändert sich also gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag nichts an der Höhe der Gebühren, wogegen PKW-Besitzer*innen mit hohen Einkommen sich über einen massiven Rabatt freuen können. Es bleibt also dabei… Parken in Köln: nicht innovativ, nicht zielführend und auch nicht sozial.
Deutzer Freiheit
Obwohl die Deutzer Freiheit nicht zum Gebiet des VeedelsBlock+ aus Aufbruch:Stadt gehört, habe ich mich an verschiedenen Stellen auf den dortigen Verkehrsversuch bezogen. Der Start des Verkehrsversuchs 2022 war dilettantisch und stand auch direkt unter massiver Kritik und Anfeindungen. Dazu beigetragen hatte die mangelnde Kommunikation, ein unvermittelte und unkoordinierte Auf- und Abbau der CityDeck-Parklets des Zukunftsnetz Mobilität NRW und natürlich die Kampagne der Pro-Auto-Akteure vor Ort und in manchen politischen Parteien.
Zumindest bei der Qualität und Gestaltung der Stadtmöblierung konnte im April 2023 nachgesteuert werden. Die Stadt Köln beauftragte die Firma Stadtkontraste, die zügig ein Konzept entworfen und umgesetzt hat, dass aufzeigt, wie Stadtmöblierung funktionieren kann (siehe Update 2023-07, Deutzer Freiheit). Die Stimmung war allerdings schon so polarisiert, dass eine konstruktive Entwicklung nicht mehr möglich war. Gegner des Verkehrsversuches hatten Klage eingereicht.
Der Klage wurde stattgegeben und somit wurde der Verkehrsversuch juristisch beendet. Die oben schon zitierten Straßenverkehrsgesetze machen es tatsächlich schwierig, Qualität und Straßenverkehr miteinander zu vereinbaren. So formulierte das Verwaltungsgericht in einer Presseerklärung folgerichtig: „Die Erhöhung der allgemeinen Lebens- und Aufenthaltsqualität sowie die Belebung der Geschäfte und Gastronomie sind keine straßenverkehrsrechtlich relevanten Schutzgüter“.
Das sich die Gegner*innen und Kläger gegen den Verkehrsversuch keinen Gefallen taten, habe ich in dem Artikel: Der Pyrrhussieg auf der Deutzer Freiheit versucht aufzuzeigen.
Venloer Straße
In einem Update schlage ich vor, die durchaus vorhandenen positiven Erfahrungen aus dem Verkehrsversuch auf der Deutzer Freiheit auf die Venloer Straße mitzunehmen (siehe Update 2023-07, Venloer Straße). Für den Abschnitt vom Gürtel in Richtung Innenstadt wird das keinen Effekt mehr haben (können). Aber es gibt noch weitere Abschnitte der Venloer Straße, die nach dem Gutachten des Radverkehrskonzeptes und entsprechender politischer Beschlüsse umgestaltet werden sollen.
Für die Venloer Straße hinter dem Gürtel können die Fehler der Vergangenheit (konzeptionell, qualitativ, kommunikativ) vermieden werden. Und nicht nur auf Grund der verkehrsrechtlich-juristischen Problematik, sollte in Erwägung gezogen werden, hier einen Ansatz Stadtentwicklung, statt Verkehrsversuch zu wählen.
Der erste Abschnitt des Verkehrsversuchs Venloer Straße ist inzwischen in Phase 2, Einbahnstraße. Es läuft deutlich besser, wie ich es ursprünglich befürchtet hatte, wenn auch jeglicher städtebauliche Anspruch und Aufenthaltsqualität fehlen (siehe Update 2023-10).
Auch auf der Venloer Straße läuft die Gegenkampagne und es droht ebenfalls eine juristische Auseinandersetzung. Die Voraussetzungen sind andere, und meines Erachtens sind auch die Aussichten auf Erfolg deutlich geringer. Problematisch ist allerdings die weitere Polarisierung, das zerbrochene Porzellan und, dass damit auch alle Schritte zu mehr Qualität und Experiment nachhaltig blockiert werden. Gewonnen hat wiederum der Populismus und Stillstand, wozu ich auf den oben schon zitierten Text: Der Pyrrhussieg auf der Deutzer Freiheit verweisen möchte.
Klima‑, Sanitär und Nährstoffwende
Aktionsplan Klimaschutz der Stadt Köln
Im Dezember 2022 hatte der Rat der Stadt Köln beschlossen, das Gutachten zur Klimaneutralität 2035 als Handlungsrahmen für die Umsetzung anzuerkennen (Vorlage 2547/2022) und die Verwaltung wurde beauftragt, einen Aktionsplan für die Umsetzung des vorgeschlagenen Maßnahmenpaketes vorzulegen. Der Aktionsplan wurde im Herbst vorgelegt und am 7. Dezember 2023 vom Rat beschlossen (Vorlage 2243/2023). Das Gutachten bestand schon aus drei Bänden mit insgesamt über 450 Seiten und umfangreichen Maßnahmenvorschlägen mit Angaben zu Treibhausgas-Einsparungen, Kosten und Zeitplänen.
Der nun vorliegende, und über 200 Seiten starke, Aktionsplan „beleuchtet das Handeln von Verwaltung und Beteiligungen […] im Hinblick auf die Transformation zur Klimaneutralität“. Orientiert wird sich dabei an den drei Säulen der Nachhaltigkeit: „Effizienz – der Reduktion von Energie- und Ressourcenbedarfen durch Technik, Konsistenz – einem planvollen, langfristig orientierten Vorgehen und Suffizienz – der Reduktion von Energie- und Ressourcenbedarfen durch Einsparung.“ In der Einleitung wird in Bezug auf das Gutachten formuliert, dass der Aktionsplan „Einstieg für die Operationalisierung des Beitrags der Verwaltung der Stadt Köln und der städtischen Beteiligungen“ darstellt. Was wurde nun aus dem Gutachten in den Aktionsplan aufgenommen?
Handlungsfelder
Einen guten Überblick über geplante Vorhaben liefert das „Aktivitätenportfolio — Köln Klimaneutral 2035 mit Bezug zum Aktionsplan 2023“ auf Seite 19 des Aktionsplans. Aufgeführt sind hier die zentralen Handlungsfelder aus dem Gutachten:
- Gebäude und Quartiere werden klimaneutral
- Klimaneutrale Energieversorgung erreichen
- Arbeiten und Wirtschaften erfolgen klimaneutral
- Mobilität und Logistik werden klimaneutral
- Klimaneutralen Lebensstil und Bildung fördern
- Kommunale und zivilgesellschaftliche Transformation zur Klimaneutralität erreichen
Unterhalb der Handlungsfelder sind weitere Abschnitte und die konkreten Aktivitäten und Vorhaben dargestellt. Wichtig ist bei der Übersicht, die Einfärbung im Blick zu behalten: „Die hellgelben Felder stellen die Aktivitäten der Verwaltung dar und die hellroten Felder zeigen die Aktivitäten der ausgewählten Beteiligungsunternehmen im Konzern Stadt Köln.“ Was in der Einleitung zur Abbildung unerwähnt bleibt, sind die vielen weißen Felder: Vorhaben des Gutachtens, die es nicht in den Aktionsplan geschafft haben.

Weiße Flecken
Nicht im Aktionsplan enthalten sind beispielsweise:
- Sonderinitiativen zu nachhaltigem und energieeffizientem Bauen
- Fortführung LED-Austauschprogramm Straßenbeleuchtung
- Erprobung flächenschonender ökologischer und energieeffizienter Wohnmodelle
- Nachverdichtung klimaneutral gestalten
- Köln Paket für die klimafreundliche Bestandssanierung (siehe hierzu die Kritik der Architekten-Initiative „Köln Countdown“)
- Etablierung zielgruppenspezifischer Beratungs- und Unterstützungsangebote
- Klimabonus-Modell (Anreiz zur energetischen Modernisierung von Wohnraum für einkommensschwache Haushalte)
…aus dem Handlungsfeld 1, Gebäude und Quartiere. Oder aus dem Handlungsfeld 2, Klimaneutrale Energieversorgung, beispielsweise:
- Solarkoordinierungsstelle (SoKo) Stadt Köln
- Solartreff, Ausbildungsoffensive, Solarfonds – Unterstützungsinstrumente für den PV-Ausbau
- Fokusthema: Ausbau von Mieterstrom
- Erhöhung der Ausnutzung des Bioenergie-Potentials aus kompostierbaren Abfällen
- Strategie: „Batteriespeicher zur Flexibilisierung der Energieversorgung“
Dies könnte nun für die weiteren Handlungsfelder fortgesetzt werden.
Es gibt allerdings auch Vorhaben, die im Gutachten noch nicht enthalten waren, wie zum Beispiel das „KlimaVeedel der RheinEnergie“ (siehe gesonderten Punkt hier im Rückblick…). Wiederum andere Punkte, wie beispielweise das Förderprogramm „KfW 432 energetische Quartiersentwicklung“ steht derzeit (Jan 2024) nicht zur Verfügung: „Hintergrund ist die Mittelsperrung im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung“ des Bundes.
Im Aktionsplan werden die (trotzdem noch zahlreichen) kleinen und großen Vorhaben in Steckbriefen vorgestellt. Die Umsetzung allein schon dieser Maßnahmen wird eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe. Für das Ziel eines klimaneutralen (und sozialen) Kölns reicht dies allerdings bei weitem nicht. Insofern ist der Aktionsplan kein Grund zum Jubeln, sondern kann tatsächlich nur der in der Einleitung formulierte „Einstieg“ sein.
Kritik von Architekten Initiative „Köln Countdown“ am Aktionsplan Klimaschutz
Der Aktionsplan war nur wenige Tage verabschiedet, als die Initiative „Köln Countdown“ eine Presseerklärung veröffentlichte (stiftung-energieeffizienz.org/pressemitteilungen ). Die Initiative wurde von den ehemaligen Mitgliedern der Projektgruppe Gebäude des Kölner Klimarates initiiert. Der Klimarat hatte maßgeblich an dem Gutachten mitgearbeitet, welches dann zum Aktionsplan Klimaschutz führte.
Festgestellt wurde, dass die Einsparungen des Aktionsplans „lediglich 1,14 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr im Einflussbereich der Verwaltung und städtischen Betriebe [umfassen]. Diese Einsparung ist zu begrüßen…“ sind aber weit von den notwendigen ca. 9 Mio. Tonnen CO2 Einsparungen pro Jahr entfernt. Weiter schreibt die Initiative: „Für den verbleibenden Großteil der CO2-Emissionen, die weitere Maßnahmen in der Stadt und vom Bund erfordern, liegt kein Plan vor. Z.B. ist das von der Projektgruppe Gebäude im Klimarat beschlossene „Köln-Paket“ nicht mehr im Aktionsplan enthalten. Es sollte mit einer bürgernahen Beratung zur Beschleunigung und Steigerung der Sanierungsrate Kölner Gebäude beitragen“.
„Köln Countdown“ will das von der Verwaltung ausgeklammerte Thema der Emissionen des Bauens angehen und plant ab März 2024 regelmäßige Treffen auch zum Thema Wohn- und Schulbau.
Zum Thema „Emissionen des Bauens“ siehe auch weiter unten den Hinweis auf die „initiative.umbau“
„Ach‘ du heilige Sch…“ — Holy Shit , der Film und das Buch
Im Dezember 2023 kam der Film „Holy Shit“ von Rubén Abruña in die Kinos (holyshit-derfilm.de). Première feierte der Film in Köln zusammen mit dem Erscheinen des gleichnamigen Buches zum Film (holyshit-dasbuch.de).
Buch und Film schlagen einen großen Bogen von „der Kulturgeschichte unseres Umgangs mit Kacke & Co. bis hin zur Schilderung der Ursachen und Folgen zerstörter Nährstoffkreisläufe sowie der Lösungsansätze dafür“. Themen, die ich auch in Aufbruch:Stadt im Kapitel zur Stadt der Kreislaufwirtschaft thematisiert habe, werden im Buch / Film ausführlich mit Bildern, Fakten und Beispielen unterlegt und um einige Aspekte ergänzt, die ich bisher noch nicht berücksichtigt hatte. Zum Beispiel das Thema Gesundheit und multiresistente Keime, die mit Hilfe von Stuhltransplantationen behandelt werden (Fäkale Mikrobiota-Transplantation, FMT). Oder die Planungen für einen Kot-Tresor in den Schweizer Alpen – ähnlich wie der Saatguttresor auf Spitzbergen – in dem das menschliche Mikrobiom gespeichert werden soll. Das Buch thematisiert hierbei auch das fortgesetzte Kolonialverhältnis, wenn „der ‘hochwertige‘ Kot von heute noch relativ naturnah lebenden Bevölkerungen geschützt werden soll, nicht aber die Menschen selbst mit ihrer Umwelt und ihrer Lebensweise“. Genannt werden Vertreter*innen indigener Bevölkerungen, die sich gegen die neokoloniale Aneignung durch den globalen Norden wehren. Aspekte, die in „Nachhaltigkeitsdebatten“ ehr selten geführt werden.
Im zweiten Teil des Buches / Film geht es um viele kleine und große Beispiele des Nährstoffkreislaufes und praktischen Umsetzungen in „Häusern, die Dünger erzeugen“ und der „Stadt als Organismus“. Wie kann sich das System der Schwemmkanalisation verbessert oder sogar darauf verzichtet werden. Welche Installationen und Umbauten in Bestand und Neubau sind denkbar und schon praktisch erprobt [daran anknüpfend: Was gibt es für Vorgaben und Planungen bei Kölner Neubau- und Entwicklungsgebieten?].
Natürlich dürfen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht fehlen. Die Nährstoff- und Sanitärwende muss sich auseinandersetzen mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz und der Bioabfallverordnung, mit der Düngeverordnung, dem Abwasserrecht und der Klärschlammverordnung. Die letzte Novellierung der Klärschlammverordnung verpflichtet Klärschlammerzeuger größerer Kläranlagen dazu, ihren Klärschlamm ab 2029 einer Phosphorrückgewinnung zuzuführen.
Bis Ende 2023 müssten die Betreiber ein Konzept vorlegen. „Bei der Suche nach einer technischen Lösung droht […] wieder die Reduzierung auf einen einzigen Entwicklungspfad. So liefern etwa reine Klärschlammverbrennungsanlagen Phosphor – aber sonst nichts für den Boden. Insbesondere wenn das Nährstoffrecycling nicht vor Ort, sondern erst nach der Verbrennung des Schlamms in Monoverbrennungsanlagen stattfindet, folgen daraus beträchtliche Kosten für Volkswirtschaft und Umwelt […].Sinnvoller wäre ein systemischer Ansatz, der auch andere Faktoren mit einbezieht. Pyrolyse etwa ist weniger energieintensiv und kann auf dem Gelände der Kläranlage stattfinden“.
Wie schaut es hierbei in Köln aus? Auf der Webseite der StEB findet sich: „Die Verwertung und Beseitigung von Klärschlamm gehört zu den zentralen Aufgaben der StEB Köln. Daher haben sie gemeinsam mit den Stadtwerken Köln, der Stadt Bonn und weiteren kommunalen Kläranlagenbetreibern eine Gesellschaft gegründet, die eine Klärschlammverbrennungsanlage in Köln-Merkenich planen, bauen und betreiben wird: die KLAR GmbH“ (Klärschlammverwertung, steb-koeln.de). Kritik an dem Projekt findet sich auf den Webseiten merkenich-koeln.de bzw. koelnnord.de.
Holy Shit, ein Klo für Köln
Zeitgleich mit der Filmpremiere wurde die erste öffentliche Trockentrenntoilette in Köln eröffnet. Die Kölner Designerin Anastasia Bondar hat für ihre Masterarbeit an der Köln International School of Design (KISD) zum Thema der Verwertung menschlicher Fäkalien den Kölner Designpreis erhalten.
Darauf aufbauend wird nun auch in Köln die Sanitärwende eingeleitet. Am 28.11.2023 konnte Bondar zusammen mit den Abfallwirtschaftsbetrieben (AWB) und den Stadtentwässerungsbetrieben (StEB) die erste öffentliche Trockentrenntoilette Kölns im Volksgarten in Betrieb nehmen. Die Anlage trennt Feststoffe und Urin und bedeckt die Feststoffe automatisch mit Strohstreusel. Alles wird regelmäßig von der AWB gereinigt und an den Hygienisierungsstandort der StEB in Langel gebracht. Zukünftig soll das Material dann anschließend zu metabolon kommen, dem Innovationsstandort des Bergischen Abfallverbands in Lindlar, um dort kompostiert zu werden.
Leider darf der daraus entstehende, hochwertige Kompost derzeit nicht in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist dies in Deutschland nicht erlaubt und wird bisher nur in Versuchsanlagen erprobt – z.B. bei finizio in Eberswalde (siehe auch hierzu Holy Shit – das Buch / der Film und Aufbruch:Stadt).
Das Pilotprojekt mit 1 Holyshit-Toilette im Volksgarten ist für zwei Jahre angelegt (in Berlin gibt es inzwischen 24 Trockentrenntoiletten im öffentlichen Raum, in Wien sind es über 1.000…). Mit der ersten öffentlichen Trenntoilette und der darauf aufbauenden Verwertung — gemeinsam mit AWB und StEB — geht Köln einen ersten und wichtigen Schritt in der Sanitär- und Nährstoffwende. Also Köln, es gibt noch viel zu tun…
Quartiersentwicklung
KlimaVeedel
Unter dem Dach von SmartCity Cologne hat die RheinEnergie die Initiative „KlimaVeedel“ ins Leben gerufen. Zielsetzung ist eine konkrete und quartiersbezogene Erprobung von Lösungen für ein klimaneutrales Köln — beginnend mit dem ersten KlimaVeedel Köln-Neubrück. Benannt werden hierfür die Themenschwerpunkte energetischen Sanierung, E‑Mobilität, Photovoltaik-Ausbau und die Lebensqualität im Veedel.
Auf einem „KlimaForum“ wurden im November 2023 zahlreiche Vorschläge für Experimente entwickelt und gesammelt. Viele der in den drei Worksessions formulierten Ideen für das KlimaVeedel finden sich auch als Themen der Transformation in Aufbruch:Stadt wieder.
Einen Bericht vom KlimaForum und dem Vorschlag einer Arbeitsgruppe, Klimawegweiser und ‑routen in Anlehnung an die elekteonischen Wegweiser aus Wuppertal (aufbruch-am-arrenberg/), gibt es hier als kleinen Artikel: klimaveedel-in-koeln.
Es wird noch nach einem zweiten KlimaVeedel für Köln gesucht. Der VeedelsBlock+ in Ehrenfeld hinter dem Gürtel bietet sich an…
Superblock, Veedelsblöcke und Bürgerräte
Im Mai 2023 wurde für das Winzerveedel eine Bürgereingabe für einen begrünten und verkehrsberuhigten Superblock zwischen Barbarossaplatz und Volksgarten bei der Stadt Köln eingereicht. Voraussichtlich im Frühjahr 2024 wird über die Bürgereingabe beraten…
Hinter dem Namen LebeVeedel steht eine Bürgerinitiative, die im neu gebauten Clouth-Quartier festgestellt hat, dass dort die Gestaltung des öffentlichen Raums nicht ganz so auf dem neusten Stand ist. Daraus ist ein Verbesserungskonzept entstanden für ein zukunftsbejahendes Wohngebiet, in dem sich alle wohlfühlen können.
Auf dem Tag des guten Lebens 2019 in Ehrenfeld startete eine Initiative zur Umgestaltung der Verkehrsführung „hinter dem Gürtel“. Eine Bürgereingabe hierzu wurde im September 2020 eingebracht (und nach anfänglichen Widerständen: „wir müssen doch erstmal die alten Beschlüsse umsetzen, bevor wir neue Beschlüsse auf den Weg bringen…“) beschlossen. Das Verkehrskonzept für Ehrenfeld hinter dem Gürtel ist Teil des SuperBlock+ aus Aufbruch:Stadt.
Die Agora Köln startete im Frühjahr 2022 eine Kampagne zum Thema „Superblocks“, nach dem Vorbild der verkehrsberuhigten Straßenzüge aus Barcelona. Dies wurde aufgegriffen und führte zum Pilotprojekt eines Bürgerrates. Das Winzerveedel, das LebeVeedel und Ehrenfeld hinter dem Gürtel wurden ausgewählt und in Workshops bearbeitet.
Ursprünglich schon für 2023 vorgesehen, soll nun im ersten Halbjahr 2024 die Konzeptionierung des Projekts eines Superblock als Thema für einen Pilot-Bürgerrat erfolgen. Nach einer Konkretisierung der Rolle des Bürgerrats wird es eine Ausschreibung für die Konzeption und Durchführung geben. Im Anschluss erfolgt die Besetzung und Organisation der Mitglieder des Bürgerrates, damit dieser danach seine Arbeit starten kann.
Nach Impulsen am Tag des guten Lebens 2017 hat im September 2019 die BI Deutzer (Auto-)Freiheit erfolgreich eine Bürgereingabe in die Bezirksvertretung eingebracht. Auf den BV-Beschlüssen 2020 und 2021 folgte dann schon zwischen Juni 2022 und August 2023 der Verkehrsversuch. Über den Verlauf, die Erfolge und Auseinandersetzungen habe ich in Aufbruch:Stadt und darauffolgenden Updates Bezug genommen (s.o.). Nach dem Versuch folgt eine Umsetzung…? Ende offen…
Bundesweit sind Initiativen für Kiezblocks und Superveedel entstanden. Einen Überblick und eine bundesweite Koordinierung hat Changing Cities e.V. übernommen. Im November 2023 fand dann sogar eine bundesweite Superblock-Konferenz in Darmstadt statt.
In Darmstadt soll(t)en die Heinerblocks entstehen. Es besteht eine breite Unterstützung und Bürgerbeteiligung, ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung und die Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Im Dezember 2023 stoppte dann allerdings der Darmstädter Stadtrat Paul Wandrey (CDU) das Projekt. Es sei Ergebnis der Haushaltsgespräche der Koalition aus von Grünen, CDU und Volt mit der SPD unter OB Hanno Benz gewesen – also einer wahrlich großen Koalition gegen eine Transformation der Stadt (siehe changing-cities.org/initiativen-kritisieren-stopp-von-ersten-superblock-in-darmstadt).
- Superblock Winzerveedel, superblock-winzerveedel.de
- LebeVeedel Clouth-Quartier, lebeveedel.de
- Ehrenfeld “hinter dem Gürtel”, ratsinformation.stadt-koeln.de/…,
(s.a. Aufbruch:Stadt) - Bürgerrat Superblock, meinungfuer.koeln/buergerraete…
- Agora Köln Superblock, agorakoeln.de/projekte/superblocks
- Deutzer (Auto) Freiheit, deutzautofrei.de
- #Superblocks bundeweit, changing-cities.org/kampagnen…
- Heinerblocks Darmstadt, heinerblocks.de
Initiatve.umbau
Die initiative.umbau (initiative-umbau.org ) ist „eine stetig wachsende Gruppe Architekt:innen und Stadtplaner:innen, Künstler:innen und Kulturschaffende, Lehrende, Studierende und Schüler:innen, Bürger:innen der Stadt Köln, die […] einen Diskurs- und Aktionsraum für einen umweltbewussten, sozialgerechten und kulturell wertschätzenden Umgang mit dem vorhandenen und künftigen Baubestand eröffnet“.
Die Initiative spricht sich dafür aus, Gebäude als Ressource zu betrachten und dabei die Wieder- und Weiterverwendung von Gebäudebestand als (neu)programmierten Lebensraum zu unterstützen. In einem offenen Brief an die Oberbürgermeisterin und den Rat der Stadt Köln bezieht sich die Initiative auf das Handlungsfeld 1 „Gebäude und Quartiere werden klimaneutral“ des oben schon thematisieren Gutachten „Köln Klimaneutral 2035“. In dem offenen Brief werden vier Forderungen aufgestellt:
- den Bestand als Ressource für eine lebenswerte Stadt zu entdecken, zu nutzen und weiterzudenken.
- den Diskurs mit der Stadtgesellschaft zu forcieren, um gemeinschaftlich und auf Augenhöhe die dringend notwendigen Transformationen anzugehen.
- die erklärten Ziele der Klimaneutralität und den Weg zu einer zukunftsfähigen Stadt Köln aktiv zu fördern.
- die Gemeinwohlorientierung ernst zu nehmen und die Vorbildfunktion der Stadt Köln für eine nachhaltige Entwicklung der gesamten Region aktiv zu gestalten und zu leben.
Als grundlegende Ziele der Initiative finden sich auf der Webseite folgende Punke.
- CO2 Emissionen stoppen – Das im Gebäudebestand gebundene CO2 „graue Energie“ nutzen und nicht durch Abriss und Neubau erneut produzieren.
- Ressourcen nutzen – Unsere Stadt von heute als Ressource für die Stadt von morgen begreifen.
- Abriss stoppen – Beschlüsse von gestern müssen heute überdacht werden.
- Klimaneutral bis 2035 – Wege finden, wie der Ratsbeschluss der Stadt Köln zur Klimaneutralität 2035 tatsächlich umgesetzt werden kann.
- Leerstand aktivieren — Wenn die Zukunft eines Gebäudes ungewiss ist, können Zwischennutzungen ein Weg sein die Potenziale eines Umbaus zu finden und Bestand zu erhalten.
- Reparieren – Das Vorhandene mit Sorgfalt behandeln, reparieren oder neuen Anforderungen anpassen.
- Recyceln – Durch Umbau oder Teilrückbau gewonnene Baumaterialien weiter nutzen oder den Bauteilbörsen zuführen, statt sie zu entsorgen.
Siehe hierzu auch oben die Kritik von Architekten Initiative „Köln Countdown“ zum Klimaaktionsplan der Stadt Köln.
Zum Schluss
Mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichtes und der Entscheidung der Bundesregierung am Spardiktat festzuhalten, wird weiteren Projekten, Planungen und Ideen zur Transformation der Stadt die finanzielle Grundlage entzogen. Ein weiterer Grund, nicht gerade in optimistischen Überschwang zu verfallen. Und dann ist da auch noch ganz speziell Köln…
Scheitern als Kunstform
Auf seinem Blog und einem Artikel in der taz beschreibt der in Köln gebürtige Stadtforscher Johannes Novy die Kölner Stadtentwicklung unter dem Titel „Scheitern als Kunstform“ (siehe Update 2023-10).
„Stadtentwicklung in Köln bedeutet, ein ums andere Mal nicht fassen zu können, wie Politik und Verwaltung die Stadt gegen die Wand fahren und gleichzeitig nicht mehr im Geringsten überrascht zu sein. Seit Jahrzehnten gehören Pleiten und Pannen ebenso fest zur Domstadt wie der Dom selbst. Köln wäre nicht Köln ohne die ständige Präsenz politischen Versagens beziehungsweise einer Politik, die – unabhängig davon, wer gerade regiert – Scheitern zur Kunstform erkoren zu haben scheint“.
Die Beiträge von Novy beschreiben die großen Debakel stadtweiter Bedeutung, die mit dem Ausstieg der Montag-Stiftung aus dem Projekt der Entwicklung der Hallen Kalk einen weiteren Tiefpunkt erreicht hatten.
Aufbruch Stadt?
Was hat das mit „Ehrenfeld hinter dem Gürtel“ und dem VeedelsBlock+ zu tun? Oder mit der immer drängender werdenden Notwendigkeit einer Transformation der Stadt (Köln)? Die Strukturen und Parallelen habe ich versucht in Aufbruch:Stadt / in diesem Artikel aufzuzeigen. Umfassende Visionen für eine nachhaltige und zukunftsorientiere Perspektive werden leider viel zu wenig entworfen und diskutiert.