Update 2023-09 — Grü­nes Wachstum

Die Fra­ge, ob grünes Wachs­tum in den rei­chen Indus­trie­na­tio­nen eine Opti­on bie­tet, die Ver­pflich­tun­gen aus dem Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men nach­zu­kom­men und gleich­zei­tig Wachs­tum zu gene­rie­ren wird in der Stu­die „Is green growth hap­pe­ning?“ (Vogel & Hickel, 2023) untersucht.

In den letz­ten Jah­ren haben eini­ge Län­der ihre CO2 Emis­sio­nen redu­ziert, bei gleich­zei­ti­ger Erhö­hung ihres Brut­to­in­lands­pro­dukts. Die­se abso­lu­te Ent­kopp­lung wird dann all­ge­mein als grü­nes Wachs­tum bezeich­net, an ande­ren Stel­len auch als ver­träg­li­ches, nach­hal­ti­ges oder inklu­si­ves Wachs­tum. Auf der Web­sei­te des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Wirt­schaft und Kli­ma­schutz (BMWK, www.bmwk.de, www.energiewechsel.de) fin­det sich hier­zu eine Info­gra­fik, die ein aus­ein­an­der­ent­wi­ckeln des Wachs­tums vom Ener­gie­ver­brauch darstellt.

Liniengrafik der "Entkopplung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum". Ausgegangen wird von einem Index 100 im Jahr 1990. Von dort gibt es bis 2015 ein stetiges Wachstum des Bruttoinlandsprodukt von +43 % sowie eine Reduzierung des Primärenergieverbrauchs auf -11 %. Original-Alternativtext: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Primärenergieverbrauch sind voneinander entkoppelt: Während das BIP seit Jahren ansteigt, sinkt der Primärenergieverbrauch. Im Zeitraum von 1990 bis 2015 ist das BIP ist um 43 Prozent gestiegen, der Primärenergieverbrauch ist im gleichen Zeitraum um 11 Prozent gesunken. Quelle: BIP: Statistisches Bundesamt, Primärenergieverbrauch: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen; Stand: 05.01.2016
Abbil­dung. Info­gra­fik des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Wirt­schaft und Kli­ma­schutz. Ent­kopp­lung des Ener­gie­ver­brauchs vom Wirtschaftswachstum.

Die Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie des BMWI for­mu­liert, dass „nach­hal­ti­ges wirt­schaft­li­ches Wachs­tum […] eine Grund­la­ge des Wohl­stands in Deutsch­land [ist…] Richt­schnur ist dabei das Kon­zept der Sozia­len Markt­wirt­schaft und das Ver­spre­chen, Wachs­tum und ‚Wohl­stand für alle‘ zu schaf­fen“ (BMWK). Kann die­ses Ver­spre­chen in Ein­klang mit der Ein­hal­tung der Pari­ser Kli­ma­zie­le ste­hen? In der empi­ri­schen Stu­die von Vogel und Hickel wird unter­sucht, ob die Zie­le des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men über grü­nes Wachs­tum rea­li­sier­bar sind.

Von 36 unter­such­ten Indus­trie­staa­ten wur­den nur 11 Län­der mit hohem Ein­kom­men iden­ti­fi­ziert, die zwi­schen 2013 und 2019 eine abso­lu­te Ent­kopp­lung erreicht haben: Aus­tra­li­en, Bel­gi­en, Däne­mark, Deutsch­land, Frank­reich, Kana­da, Luxem­burg, die Nie­der­lan­de, Öster­reich, Schwe­den, und das Ver­ei­nig­te König­reich. Die Stu­die unter­sucht, ob die Min­de­rungs­ra­ten, die die­se Län­der durch eine sol­che abso­lu­te Ent­kopp­lung errei­chen, mit ihren Antei­len (fair-shares, als bevöl­ke­rungs­pro­por­tio­na­le Antei­le defi­niert) an den Paris-kon­for­men CO2-Bud­gets im Ein­klang stehen.

Das Ergeb­nis ist so ein­deu­tig wie ernüch­ternd. Die Emis­si­ons­min­de­run­gen der Län­der durch abso­lu­te Ent­kopp­lung, blei­ben weit hin­ter den Paris-kon­for­men Raten zurück. Bei den erreich­ten Raten wür­den die­se Län­der im Durch­schnitt mehr als 220 Jah­re brau­chen, um ihre Emis­sio­nen um 95% zu sen­ken und dabei das 27-fache ihrer ver­blei­ben­den 1,5‑Grad-Budget (Fair-Shares) zu emit­tie­ren. Um ihre 1,5 Grad-Fair-Shares neben dem anhal­ten­den Wirt­schafts­wachs­tum zu errei­chen, müss­ten die Ent­kopp­lungs­ra­ten bis 2025 im Durch­schnitt um den Fak­tor 10 stei­gen, für Deutsch­land gar um den Fak­tor 30. Die Dis­kre­panz zwi­schen erreich­ten und erfor­der­li­chen Min­de­rungs­ra­ten ist extrem groß und wird in der fol­gen­den Gra­fik verdeutlicht.

Die Emissionsreduktionsraten, die Länder mit hohem Einkommen benötigen, um ihren 1,5°C-Gerechtigkeitsanteil einzuhalten (grün), sind um ein Vielfaches schneller als die Raten, die sie durch die jüngste absolute Entkopplung erreicht haben (orange). Emissionsreduktionsraten werden als prozentuale Reduktionsraten im Jahresvergleich angegeben. Die orangefarbenen Balken geben die durchschnittlichen Emissionsreduktionsraten 2013–19 („Durchschnitt“) an. Für die 1,5°C-Fair-Share-Pfade basieren die hier gezeigten erforderlichen Minderungsraten (grüne Balken) auf einem exponentiellen Zerfall mit einer konstanten Zerfallsrate, während Abbildung 3 im Manuskript die Minderungsraten auf der Grundlage eines schrittweisen (beschleunigten) exponentiellen Zerfalls zeigt („Raupacher Kurven“). Länder werden durch ISO-Codes identifiziert. „PWA“ ist der bevölkerungsgewichtete Durchschnitt.
Abbil­dung. Tat­säch­li­che Redu­zie­rung zwi­schen 2013–2019 (Oran­ge, Durch­schnitt) gegen­über not­we­ni­ger Redu­zie­rung (Grün). Quel­le: Anla­ge zur Studie

Die Stu­die for­mu­liert deut­lich, dass die in den Indus­trie­län­dern erziel­ten Ent­kopp­lungs­ra­ten nicht aus­rei­chen, um die Ver­pflich­tun­gen des Pari­ser Abkom­mens zu erfül­len. Wenn mit „Grün“ die Erfül­lung des Pari­ser Abkom­men gemeint ist, dann haben Län­der mit hohem Ein­kom­men kein grü­nes Wachs­tum erreicht und wer­den dies auch in Zukunft wahr­schein­lich nicht errei­chen kön­nen (Vogel & Hickel, 2023).

Um Paris-kon­for­me Emis­si­ons­re­du­zie­run­gen zu errei­chen, müss­ten die Län­der mit hohem Ein­kom­men Post­wachs­tums­stra­te­gien zur Nach­fra­ge­re­du­zie­rung ver­fol­gen, die Wirt­schaft auf Suf­fi­zi­enz, Gerech­tig­keit und mensch­li­ches Wohl­erge­hen neu aus­rich­ten und gleich­zei­tig den tech­no­lo­gi­schen Wan­del und Effi­zi­enz­ver­bes­se­run­gen beschleu­ni­gen (eben­da).


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