Johannes Novy, Stadtforscher und ‑planer, University of Westminster School of Architecture and Cities
Auf seinem Blog und einem Artikel in der taz beschreibt der in Köln gebürtige Stadtforscher Johannes Novy die Kölner Stadtentwicklung unter dem Titel „Scheitern als Kunstform“. Die zahlreichen aufgeführten Beispiele bieten einen guten Überblick über die Debakel mit ehr stadtweiter Bedeutung. Da die sich hieraus ergebenen Einschätzungen an vielen Stellen mit meiner “Nachbetrachtung und Einordnung” in Aufbruch:Stadt decken, liegt es nah‘ diese Parallelen nebeneinander zu stellen. Im Scheitern der zahlreichen großen und kleinen Projekte kann so System und Kontinuität aufgezeigt werden.
In den weiter unten verlinkten und als Lektüre empfohlenen Artikeln spannt Johannes Novy einen großen Bogen des Versagens der Kölner Politik und Verwaltung:
„Stadtentwicklung in Köln bedeutet, ein ums andere Mal nicht fassen zu können, wie Politik und Verwaltung die Stadt gegen die Wand fahren und gleichzeitig nicht mehr im Geringsten überrascht zu sein. Seit Jahrzehnten gehören Pleiten und Pannen ebenso fest zur Domstadt wie der Dom selbst. Köln wäre nicht Köln ohne die ständige Präsenz politischen Versagens beziehungsweise einer Politik, die – unabhängig davon, wer gerade regiert – Scheitern zur Kunstform erkoren zu haben scheint“
(Novy, Stadtentwicklung in Köln. Scheitern als Kunstform, 2023).
Als Beispiele nennt er den Brandbrief Kölner Stadtführer*innen und beschreibt in „eine[r] endlose[n] Reihe ähnlicher Debakel“ zahlreiche weitere (Bau-) Projekte: Oper, Wallraff-Richartz-Museum, Jüdisches Museum, ‘Historische Mitte‘, Unglücksstelle am Waidmarkt (Einsturz des historischen Stadtarchivs), Einbruch im Museum für Ostasiatische Kunst, Hallen Kalk / Kalker Osthof und einige andere mehr…
Für das Dokument Aufbruch:Stadt habe ich mich auf dezentrale Stadträume bezogen, die meist ehr im lokalen Bezug wahrgenommen werden. Der Verkehrsversuch Venloer Straße bekam durch das völlige Debakel zum Start dann allerdings noch überregionale Aufmerksamkeit. Das Beteiligungsverfahren zum Heliosgelände mit der geplanten Inklusiven Universitätsschule sollte ursprünglich auch über Ehrenfeld hinaus strahlen. Von dem Leuchtturmprojekt geht inzwischen allerdings keine Strahlkraft mehr aus.
Parallelen
Allen Projekten gemeinsam ist die anfänglich kommunizierte Euphorie bei gleichzeitig verengter Fokussierung auf das einzelne Projekt an sich. Es fehlt(e) die Einordnung – oder zumindest die Vermittlung – in eine Vision und Strategie für eine gesamtstädtische, zukunftsweisende und nachhaltige Entwicklung. Von dem städtebaulichen Masterplan für die Innenstadt von Albert Speer + Partner ist genauso wenig etwas zu erkennen, wie von den ambitionierten Klimaplänen oder der Kölner Stadtstrategie Perspektiven 2030+ (s. Aufbruch:Stadt, 2.1.1 Kölner Perspektiven 2030+ ff).
Die zentralen Großprojekte stecken im finanziellen Desaster, einer mut- und ideenlosen Politik und einer dysfunktionalen Verwaltung fest. So musste im August 2022 angekündigt werden, sämtliche Großprojekte „auf den Prüfstand“ zu holen und ggf. auf Eis zu legen.
Die von mir in den letzten Jahren begleiteten und in Aufbruch:Stadt betrachteten dezentralen Projekte werden entweder erst gar nicht umgesetzt (Marienstraße, Barrierefreiheit auf Gehwegen), aktiv zerstört (#UnitedEifelwall) oder enden im belanglosen und inhaltlich reduzierten Klein-Klein (Verkehrsversuche). Die angepasste und nachträglich von jeglicher städtebaulichen Perspektive befreite zweite Phase des Verkehrsversuchs Venloer Straße steht beispielhaft dafür, wie Politik und Verwaltung dann auch noch versuchen, verkehrspolitischen Stillstand (gepaart mit juristischen Niederlagen wie bei der Deutzer Freiheit) noch als Erfolg verkaufen zu wollen.
Dies ist ähnlich peinlich, wie die Ausrufung der „verkehrspolitischen Revolution“ nach den beschlossenen Änderungen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) im Bund (siehe hierzu: Update 2023-06 / 2023-10).
Qualitativer öffentlicher Raum
Blickt Johannes Novy auf das Erscheinungsbild Kölner Straßen und Plätze, trifft er auf den „trostlosen Anblick des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac, der seit letztem Jahr in Form einer vier Meter hohen Statue des Künstlers Auguste Rodin den verkehrsumtosten Neumarkt ‘kulturell aufwerten‘ soll“ (ebenda). Die mangelnde Wertschätzung von Kunst (werken) im öffentlichen (Straßen-) Raum – und überhaupt, die mangelnde Qualität des öffentlichen Raums in Köln – kann nicht nur am Neumarkt festgestellt werden. In einem Artikel zur Venloer Straße (und in der Stellungnahme der BI Helios zum Radverkehrskonzept Ehrenfeld) hatte ich auf die „seit 1989 ein trauriges Schattendasein fristende Stehle des renommierten Kölner Künstlers Ansgar Nierhoff“ am Bahnhof Ehrenfeld hingewiesen (Frölich, Venloer Straße und Mobilität in Ehrenfeld, 2019). Thematisiert wurde dieser Unort in Ehrenfeld schon während der Bürgerbeteiligung zum Heliosgelände in den Jahren 2011/2012. Die inzwischen zur Farce verkommenen Ergebnisse der Bürgerbeteiligung können sich sicherlich nahtlos in die Liste der oben aufgeführten Kölner Debakel einreihen (siehe hierzu die ausführliche Nachbetrachtung zum Heliosgelände in Aufbruch:Stadt).
Eine Debatte zur Qualität des öffentlichen Raums findet zumindest beim Neumarkt in Ansätzen statt (manchmal auch noch beim Ebertplatz) – in Ehrenfeld ist diese völlig abwesend (siehe hierzu auch: Update 2023-07, Deutzer Freiheit ff.).
Herausforderungen unserer Zeit
Johannes Novy stellt fest, dass auch Köln „bei der Bewältigung der großen städtischen Herausforderungen unserer Zeit wie Wohnraummangel, Klimakrise und sozialem Zusammenhalt“ hinterherhinkt. Als Beispiel führt er die bislang gescheiterte Entwicklung des Osthof Kalk und den Ausstieg der Montag-Stiftung an.
Wie auch in Kalk, sollte mit Aufbruch:Stadt und dem darin enthaltenem Vorschlag für den VeedelsBlock+ eine gemeinwohlorientierte Umgestaltung eines zusammenhängenden größeren städtischen Raums – eben auch unter dem Gesichtspunkt von Wohnraummangel, Klimakrise und sozialem Zusammenhalt –eingebracht werden. Das bisherige und weitestgehende nicht-zur-Kenntnis-nehmens dieses Vorschlags in der Kölner Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft lässt allerdings keine Hoffnung auf Besserung aufkommen.
Ebenso kann die Reaktion der Kölner Oberbürgermeisterin Reker in der aktuellen Stunde zum Kalkdesaster in der Ratssitzung vom 7. September 2023 eingeordnet werden. Mit Empörung und Irritation reagierten zahlreiche Initiativen, nachdem Oberbürgermeisterin Reker in der aktuellen Stunde auf die Erklärung der Montag-Stiftung reagierte, indem sie die soziokulturellen Initiativen und beteiligten Stiftungen als Bittsteller abqualifizierte, ihre Erwartungen als „vollkommen unrealistisch“ bezeichnete und resümierte: „Alles geht nicht“ und es könne nicht jedes gemeinwohlorientierte Projekt realisiert werden.
Die in der aktuellen Stunde getroffenen Aussagen zeugen von völliger inhaltlicher Distanz gegenüber den Akteuren und den Anforderungen einer gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung.
Stellungnahme Kölner Initiativen
In einer Stellungnahme Kölner Initiativen weisen diese auf Finanzmittel hin, die sie mitbringen, investieren und damit Gebäude und Denkmäler der Stadt vor dem Verfall bewahren. So bringt beispielsweise die Stiftung des Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) 44,26 Millionen Euro in das Kalker Projekt mit ein. In einer Pressemitteilung verschiedener Akteure der Verantwortungsgemeinschaft Osthof (VGO), Hallen Kalk werden fünf- bis sechsstellige Eurobeträge aufgeführt, die schon investiert wurden.
Vor diesem Hintergrund formulieren die Kölner Initiativen: „Der Grundtenor Ihrer Rede war ein eindringlicher Appell an die Ratsmitglieder, angesichts begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen die Prioritäten nicht aus den Augen zu verlieren. Zumal es einige ‘Gruppen‘ verstehen würden Aufmerksamkeit zu erzeugen — und dies auch noch mit vermeintlich ‘vollkommen unrealistischen Erwartungen‘ und ‘ideologischen Wünschen‘. […] Kurzum: Ihre Kritik trifft nicht den Kern der Sache und hat bei uns allen Empörung ausgelöst“.
In einer Antwort an den Zusammenschluss Kölner Initiativen erklärte Oberbürgermeisterin Reker ihre Aussagen mit der Absicht, die gewählten Vertreterinnen und Vertreter im Rat mögen „die Balance zwischen Wünschenswertem und Machbaren“ einhalten und es sei schon oft „zu viel versprochen und zu wenig eingehalten“ worden. Frau Reker betont, dass „eine parallele Umsetzung all der vorgestellten Wünsche“ nicht möglich sei, um zum Ende noch einmal zu betonen, dass sie sich ja „für viele der Initiativen, die das Schreiben vom 14. September 2023 mitgezeichnet haben, mit großem Engagement eingesetzt habe – und zwar mit Erfolg“. Den beteiligten Initiativen und den seit vielen Jahren in Köln engagierten Menschen muss es wie Hohn vorkommen, wenn Frau Reker statt einer Auseinandersetzung mit den Gründen der Beendigung des Engagements der Montag-Stiftung lieber Eigenlob verkündet.
Die Links zu den Stellungnahmen und auch zur Antwort der Oberbürgermeisterin finden sich in den monatlichen Newslettern von KKAA Newsletter Archiv | KKAA koelnkannauchanders.de.
Wer Vision hat, …
Die Erwartungen sind schon nicht mehr sehr hoch, wozu Johannes Novy anmerkt, dass Kölns Verantwortliche eines gut können: „die ohnehin niedrigen Erwartungen, die man in sie setzt, immer wieder zu unterbieten“ (Novy, Stadtentwicklung in Köln. Scheitern als Kunstform, 2023). Und hier werden als Verantwortliche nicht nur die Stadt- und Verwaltungsspitze genannt. „Und dass durch das seit 2020 regierende Bündnis aus Grünen, CDU und der Kleinstpartei VOLT tatsächlich die in Aussicht gestellte ‘nachhaltige, zukunftsorientierte und verlässliche Stadtpolitik‘ im Stadtrat Einzug gehalten hat, glauben allenfalls Abgeordnete dieser Parteien selbst“ (ebenda).
Visionen für eine nachhaltige und zukunftsorientiere Perspektive werden schon lange nicht mehr entworfen und diskutiert.
Die Eine-Millionen-Euro-Frage
Zum Ende des Blogbeitrags stellt Novy die Eine-Millionen-Euro-Frage: „Was genau erklärt das regelmäßige Scheitern und Unter-Ihren-Möglichkeiten-Bleiben dieser in vielerlei Hinsicht […] doch so privilegierten Stadt?“ (ebenda), ohne diese in dem Blogbeitrag selbst zu beantworten.
Einen Teil der Antworten hatte Johannes Novy schon in einem früheren Beitrag in der taz gegeben. Dort zitiert er aus dem Städteranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), bei dem Köln auf „einem wenig schmeichelhaften 30. Platz landete“ und ihr eine „teilweise dysfunktionale Verwaltung“ bescheinigt wurde (Novy, Stadtentwicklung in Köln — Die Liste der Possen ist lang, 2023). Neben der dysfunktionalen Verwaltung sieht er aber auch eine Verantwortung bei der Stadtgesellschaft.
Nach einer ähnlich ausführlichen Zusammenstellung von Traditionen, Pleiten, Pech und Pannen schließt der Artikel wieder mit der Frage nach der Verantwortlichkeit. Hier wird dann aber nicht nur nach oben geschaut, sondern auch eine Ursache benannt, die in der Verfasstheit der Stadtgesellschaft begründet liegt.
Kölner Stadtgesellschaft
„Gleichzeitig lässt sich aber die Frage, wer oder was für die Zustände in Köln verantwortlich ist, sicher nicht mit einem schlichten ‘die da oben‘ beantworten, und auf der Suche nach einer befriedigenderen Antwort kommt man nicht umhin, auch die Kölnerinnen und Kölner selbst in den Blick zu nehmen. […]. Proteste, so sie denn stattfinden, vermögen in der Regel nicht in dem Maße zu mobilisieren, wie man es angesichts der Anzahl und des Ausmaßes stadtpolitischer Versäumnisse erwarten könnte (und wie es in anderen Städten der Fall ist), und es ist etwas dran an der Beobachtung, dass man dazu neigt, sich zu arrangieren, getreu dem Motto ‘Et es wie et es‘, ‘Et kütt wie et kütt‘, ‘Wat wells de maache?‘ Der Fatalismus und Zweckoptimismus, der aus diesen rheinländischen Lebensweisheiten spricht, mag helfen, den alltäglichen Wahnsinn in Köln zu ertragen. Sie könnten aber auch mit ein Grund dafür sein, dass sich besagter Wahnsinn als so beständig erweist“ (ebenda).
Dies möchte ich gerne noch ein klein wenig ergänzen: Neben den genannten Mechanismen, die sich mit dem rheinländischen Gemüht erklären, schaffen es Politik und vor allem Verwaltung vorzüglich, die Kölner*innen in vielen kleinen und großen Projekten zu beschäftigen und scheinbar permanent zu „beteiligen“. Divide et impera – teile und herrsche oder auch Panem et circenses – Brot und Spiele [heutzutage heißt das dann: Tag des guten Lebens] sagten schon die ollen Römer, als sie vor 2000 Jahren nach Köln kamen. Die schier unglaubliche Menge an Initiativen, Gruppen, Verbänden und Vereine in Köln sind höchst engagiert, geschäftig und produktiv – um schlussendliche entweder im Wattebausch gefangen zu sein oder voll gegen die Wand zu laufen. Vermeintliche Beteiligung statt echter und verbindlicher Kooperation.
Helios Ehrenfeld
Bestes Beispiel ist die allseits hoch gelobte „Bürgerbeteiligung Helios“ – ein Kölner Vorzeigeprozess, der es gar bis in die Kinos schaffte. Nach nunmehr über 10 Jahren seit Verabschiedung eines verbindlichen Leitbildes und Kodex heißt es in einem Brief des Beigeordneten Egerer an die BI Helios lapidar, dass der Entwicklung rund um das Heliosgelände „die politische Legitimation“ fehle [Ausweitung des Verkehrsversuches Venloer über den Gürtel hinaus] und, dass die Verwaltung „für die Heliosstraße diese Lösung [Shared Space] aktuell nicht weiterverfolgen können“. Soweit zum Thema Verbindlichkeit von Bürgerbeteiligung in Köln — wenige Ausnahmen bestätigen die Regel und wenn alles nicht mehr hilft, ist eben Karneval.
- „Stadtentwicklung in Köln. Scheitern als Kunstform“, 27.09.2023
johannes-novy.com/news/stadtentwicklung-in-koeln - „Der Traum von einer Metropole am Rhein“
Gastbeitrag in der taz, 03.01.2023
https://taz.de/Stadtentwicklung-in-Koeln/!5905636/
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